Rezension: Comic – „The City on the Edge of Forever“

Bevor eine Episode einer Fernsehserie gedreht werden kann, muss natürlich erst ein Drehbuch verfasst werden und der Weg dorthin ist manchmal ein äußerst langer. Das trifft auch auf die klassische Star Trek-Episode „The City on the Edge of Forever“ („Griff in die Geschichte“) zu. Diese Zeitreise-Geschichte zählt heute zu den Klassikern der originalen Star Trek-Serie, aber zwischen der ersten Storyidee und dem Beginn der Dreharbeiten zur vorletzten Folge der 1. Staffel vergingen rund 10 Monate und das erste Drehbuch von Harlan Ellison machte noch einige starke Veränderungen durch, mit denen der Autor selbst allerdings alles andere als glücklich war. Im Jahr 2014 bot sich Ellison schließlich doch die Möglichkeit, seine ursprüngliche Story einem breiten Publikum verfügbar zu machen und zwar in Form einer fünfteiligen Comic-Reihe. Scott und David Tipton adaptierten zusammen mit J.K. Woddward das erste Drehbuch von Ellison. Werfen wir einen Blick in diese „alternative Fassung“ einer der beliebtesten Star Trek-Episoden.

City on the Edge of Forever omnibus cover

Für alle, die nicht mit der Endfassung der TV-Episode vertraut sind, fasse ich vorab den Inhalt der Folge zusammen: Im Orbit eines scheinbar unbewohnten Planeten wird die Enterprise von Schockwellen erschüttert, die von temporalen Anomalien ausgehen. Eine der Schockwellen ist so stark, dass sich Lieutenant Sulu auf der Brücke der Enterprise schwer verletzt und Doktor McCoy muss ihn mit dem gefährlichen Medikament Cordrazin behandeln. Dank McCoys vorsichtiger Dosierung erholt sich Sulu umgehend, doch während McCoy die beinahe volle Spritze noch in der Hand hält, trifft eine weitere Schockwelle die Enterprise und McCoy injiziert sich beim Sturz versehentlich eine Überdosis. Diese Menge von Cordrazin führt zu paranoidem und aggressiven Verhalten, weshalb sich McCoy fortan verfolgt und bedroht fühlt. Er flieht von der Brücke und infolge von der Enterprise und beamt auf den Planeten hinunter. Ein Außenteam – angeführt von Captain Kirk und Mister Spock – folgt ihm und findet dort inmitten einer Ruinenstadt ein uraltes, seltsames Artefakt vor. Eine Art künstliche Lebensform, die sich als „Hüter der Ewigkeit“ bezeichnet und ein Tor in die Vergangenheit öffnet. Noch immer unter dem Einfluss von Cordrazin stürmt McCoy durch das Tor woraufhin sich die Gegenwart verändert. Die Enterprise ist fort, das Außenteam gestrandet, weil Doktor McCoy durch seine Anwesenheit in der Vergangenheit irgendwie den Lauf der Geschichte geändert hat. Um McCoy zurückzuholen und die Veränderung der Zeitlinie zu verhindern, reisen Kirk und Spock ebenfalls in die Vergangenheit – ein paar Tage vor McCoys Ankunft – um den Doktor dort abzufangen. Doch während die beiden im New York der 1930er-Jahre – während einer Weltwirtschaftskrise, einer Zeit großer Armut und düsteren Zukunftsaussichten – warten, trifft Captain Kirk auf die charmante und visionäre Edith Keeler, in die er sich verliebt. Und als ob eine Beziehung zwischen einem Zeitreisenden und einer Frau aus der Vergangenheit nicht schon schwierig genug wäre, findet Spock heraus, welche Veränderung McCoy in der Vergangenheit auslösen wird: McCoy wird Edith Keeler das Leben retten. Eine heroische und selbstlose Tat, die aber Jahre in der Zukunft zum Ergebnis haben wird, dass die friedfertige Edith Keeler so einflussreich wird, dass sie den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg verhindern kann und Deutschland den Krieg gewinnt. Um seine Zukunft zu bewahren, muss Kirk also verhindern, dass McCoy jener Frau das Leben rettet, die er liebt …

Kommen wir nun zum Comic und dem ursprünglichen Drehbuch: Vorweg gesagt ist die Story in den Grundzügen dieselbe. Schon in der ersten Drehbuchfassung ging es um eine unbeabsichtigte Reise in die Vergangenheit, die unabsichtliche Veränderung der Geschichte und das Zulassen des Todes von Edith Keeler um den gewohnten Zeitablauf und die Gegenwart wiederherzustellen. Aber es gibt auch bedeutende Unterschiede in der Handlung. Zum einen spielt im Originaldrehbuch McCoy kaum eine Rolle. Sein einziger relevanter Auftritt findet bei der Behandlung eines Mannes statt, der von Lieutenant Beckwith niedergeschlagen wurde.

Wer Lieutenant Beckwith ist? Er ist der Bösewicht in dieser Geschichte. Ein Mann, der sich durch den Verkauf illegaler und höchst suchterregender Drogen etwas dazuverdient. Als einer seiner Kunden damit droht, ihn auffliegen zu lassen, ermordet Beckwith ihn, wird dabei jedoch beobachtet und flieht von Bord. Er beamt auf den Planeten hinunter, den die Enterprise gerade umkreist. Kirk und Spock folgen ihm mit einem Außenteam, erblicken statt Beckwith aber zuerst eine erstaunliche Stadt, wie aus Kristall gefertigt auf der Spitze eines Gebirges errichtet. Eine „Stadt am Rande der Ewigkeit“ nennt Kirk sie, was auch die Erklärung für den englischen Titel der Geschichte darstellt. Auf dem Weg zur Stadt trifft das Außenteam auf eine Gruppe fremder Wesen, die sich als die Wächter der Ewigkeit vorstellen, die über ein Zeitportal wachen, eine Säule aus Licht, durch die nicht nur ein Blick, sondern eine Reise zu jedem Ort und jeder Zeitperiode möglich ist. Beckwith, der aus einem Versteck den Ausführungen der Wächter lauscht, erkennt eine neue Fluchtmöglichkeit und stürmt durch das Zeitportal. Dass Beckwith die Zeitlinie damit verändert hat, wird für das Außenteam erst ersichtlich, als es zur Enterprise hochgebeamt wird. Besser gesagt zum Raumschiff „Condor“, das in der veränderten Zeitlinie den Platz der Enterprise eingenommen hat. Die Condor ist ein Schiff, das von einer heruntergekommenen aber schwerbewaffneten Piratenbande bemannt ist. Nach einem kurzen Gerangel gelingt es den Leuten von der Enterprise, zumindest den Transporterraum unter ihre Kontrolle zu bekommen. Während das Sicherheitsteam angeführt von Yeoman Rand den Raum halten muss, beamen Kirk und Spock wieder zum Planeten und überzeugen die Wächter davon, dass sie Beckwith folgen müssen …

Wächter und Stadt wie ursprünglich beschrieben (li.) und in der TV-Episode (re.).

Wächter und Stadt wie ursprünglich beschrieben im Comic  (li.) und in der TV-Episode (re.).

Ab der Zeitreise verläuft die Story im Grunde ähnlich ab wie in der verfilmten Version. Der genaue Ablauf der Story weicht zwar ab, die Geschichte im Comic geht noch etwas stärker auf die Zeit der Depression ein, aber bis zur Ankunft des ersten Zeitreisenden – egal ob McCoy oder Beckwith – tauchen Kirk und Spock unter, halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und wie in der Endfassung verliebt sich Kirk in Edith Keeler, wobei die Originalfassung des Drehbuchs dem Zusammenleben von Kirk und Keeler mehr Zeit einräumt. Auch die Jagd nach Beckwith nach dessen Ankunft in der Vergangenheit ist etwas länger als die Suche nach McCoy, dessen Ankunft sich Kirk und Spock erst einige Zeit später bewusst werden.

Inhaltlich zu einer wesentlichen Abweichung kommt es erst ganz am Schluss. Obwohl Beckwith als Mörder und rücksichtsloser Drogendealer charakterisiert wird, beschließt er – genauso wie McCoy in der TV-Fassung – spontan Edith Keeler vor einem herannahenden Lastwagen zu retten. Während McCoy von seinem Freund Jim Kirk zurückgehalten wird und dieser dabei bewusst und unter Schmerzen Edith zugunsten der Wiederherstellung der Zeitlinie opfert, fällt dieser Aspekt im Originaldrehbuch weg. Beckwith‘ gute Tat wird hier von Spock verhindert während Kirk nur tatenlos zusieht.

Fazit: Auch wenn Harlan Ellison mit den Änderungen an seinem Drehbuch nicht glücklich war, muss ich doch sagen, dass mir die endgültige Fassung der Geschichte in der TV-Episode besser gefällt. Den Bösewicht durch McCoy zu ersetzen macht durchaus Sinn, wenngleich Ellison durchaus in Form von Beckwith aufzeigen wollte, dass es auch in der Zukunft noch böse Menschen gibt, in ihnen aber trotz der vordergründigen Eigenschaften noch Gutes stecken kann. Insofern ist es auch etwas sonderbar, wenn Spock nach der Zeitreise sein Missfallen über die Menschen der Vergangenheit äußerst, wenn Beckwith – ein Offizier der Sternenflotte! – ihm doch schon bewiesen haben sollte, dass auch die Menschen der Zukunft nicht frei von Fehlern sind. Grundsätzlich muss man sagen, dass auch die Darstellung von Spock und der Vulkanier allgemein in der Originalfassung abweicht von dem, was später definiert wurde. Im Zuge seiner äußerst scharfen Kritik an der brutalen Vergangenheit der Menschen merkt Kirk z.B. an, dass die Vulkanier erst 200 Jahre nach den Menschen ins Weltall aufgebrochen wären. Eine angebliche Unverträglichkeit menschlicher Nahrung wird später auch nie mehr thematisiert und der vulkanische Nackengriff war ebenfalls noch nicht etabliert. Spock wird von Beckwith sogar einmal niedergeschlagen. Vermutlich war auch noch nicht festgelegt, dass Vulkanier den Menschen an körperlicher Stärke überlegen sind.

Aber so ziemlich alle Abweichungen lassen sich auf das Vollendungsdatum des ersten Drehbuchs zurückführen. Im Juni 1966 existierten erst die beiden „Star Trek“-Pilotfilme, die ersten beiden regulären Folgen „Die Frauen des Mr. Mudd“ und „Pokerspiele“ wurden gerade eben gedreht. So überrascht es nicht, dass Doktor McCoy noch nicht als Ersatz für Beckwith angesehen wurde. In der ersten Staffel der Serie waren William Shatner (Kirk) und Leonard Nimoy (Spock) die einzigen Hauptdarsteller. Die Rolle des Doktor McCoy wurde erst im Laufe der Zeit immer größer, Darsteller DeForest Kelley stieg erst in der zweiten Staffel zum Hauptdarsteller auf. Im Gegensatz dazu wurde die Rolle von Yeoman Janice Rand schließlich während der ersten Staffel komplett gestrichen, während sie ursprünglich eine durchaus tragende Rolle hätte spielen sollen. (Man beachte die frühen Werbefotos der Serie, auf denen Darstellerin Grace Lee Whitney oft an der Seite von Shatner und Nimoy posiert.) Im Originaldrehbuch hat sie in Abwesenheit von Kirk und Spock sogar das Kommando über das Außenteam und darf bei der Verfolgung von Beckwith sogar ein Phaser-Gewehr abfeuern. (Das man übrigens in der Serie nach dem 2. Pilotfilm nicht mehr gesehen hat.)

Angesichts der Entwicklung, die die Serie im Verlauf der ersten Staffel genommen hat, erscheint mir die fertige Folge als sehr gute Adaptierung der ursprünglichen Geschichte. Ich verstehe zwar, was Ellison durch den Charakter Beckwith ausdrücken wollte, aber den Bösewicht Beckwith durch den Freund McCoy zu ersetzen, erhöhte auf jeden Fall die Dramatik am Schluss. Die TV-Episode beinhaltet angedeutet auch einen Konflikt unter Freunden, wenn McCoy Kirk Vorwürfe macht. Obwohl sich ein solcher Konflikt zwischen Kirk und Spock am Ende des Originaldrehbuchs angeboten hätte, wird darauf jedoch nicht mehr eingegangen.

Was die Zeichnungen von Scott und David Tipton angeht, wird vielleicht nicht jeder angetan sein. Ihre Darstellung und vor allem die Koloration ist sehr „malerisch“. Die Linien sind nicht so klar, die Darstellung sehr sanft. Einige Panels sehen aus wie Gemälde, wobei vor allem die ganzseitigen Bilder wirklich beeindruckend sind. Die Zeichnungen im Comic haben wirklich etwas altmodisches an sich, aber bedenkt man, wohin die Zeitreise Kirk, Spock und Beckwith führt, ist das durchaus passend und wenngleich der Stil für einen Comic relativ ungewohnt ist, ist die Erkennbarkeit der Charaktere stets gegeben. Nur hin und wieder erscheint die perspektivische Darstellung nicht immer gelungen. Aber das trifft hauptsächlich auf die unspektakulären Panels zu.

Bewertung: Auch wenn es Harlan Ellison vielleicht nicht gerne hören wird, ziehe ich doch die verfilmte Version der Geschichte seinem ursprünglichen Drehbuch vor. Ich kann im Grunde alle wesentlichen Änderungen an der Story mühelos nachvollziehen und finde, dass nach den Überarbeitungen eine bessere und kompaktere Geschichte rausgekommen ist. Das soll aber nicht bedeuten, dass Ellison wirklich etwas falsch gemacht hat, als er seine erste Drehbuchversion schrieb. Er konnte gewisse Entwicklungen wie die Etablierung von McCoy als quasi dritten Hauptdarsteller natürlich nicht vorhersehen und dass das eingeschränkte Produktionsbudget eine starke Veränderung der Wächter der Ewigkeit und der titelgebenden Stadt zufolge hatte, ist natürlich auch ein Umstand, der beim Verfassen eines Erstentwurfs noch keine vorrangige Rolle spielt. In Form eines Comics kann man solche Ideen natürlich wesentlich einfacher umsetzen.

Der Comic „The City on the Edge of Forever“ erhält von mir 4 von 6 Sterne. Die TV-Episode mit dem gleichen Titel gebe ich 5 Sterne. Wie erwähnt ist der Vergleich der beiden Geschichten aufgrund ihrer jeweiligen Entstehungszeit zwar nicht ganz fair, aber er drängt sich doch auf, weshalb der Comic hier das Nachsehen hat.

4stars

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