Rezension: Comic – Ongoing #31 + #32 “I, Enterprise”

Nachdem der vorangegangene Zweiteiler „Parallel Lives“ den Lesern der eher Absurd-komischen Bereich der Star Trek-Geschichten vorgeführt wurde, geht „I, Enterprise“ in eine komplett andere Richtung. Eine eher ernste Betrachtung einer High-Concept-Science-Fiction-Idee, wenngleich – auch wenn es wie ein Widerspruch wirkt – mit dem Fokus auf eine bestimmte Persönlichkeit an Bord der U.S.S. Enterprise. Sicher ist vielen Sehern im Kinofilm „Star Trek Into Darkness“ der etwas seltsam aussehende und merkwürdig sprechende Wissenschaftsoffizier auf der Enterprise-Brücke aufgefallen. Was es mit ihm auf sich hat und wie er auf die Enterprise gekommen ist, erzählt dieser zweiteilige Comic.

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Ausgabe #31

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Ausgabe #32

Blass, kahlköpfig, mit starrenden blauen Augen und einem leuchtenden, runden Implantat am Hinterkopf. So stand dieser nicht mit Namen genannte Wissenschaftsoffizier auf der Brücke an einer der Stationen und gab während der Ereignisse des Kinofilms Statusmeldungen von sich. Fast ein bisschen wie ein akustisches Interface des Hauptcomputers. Und eine solche Funktion führt dieser Mann auch aus. Auf den ersten Seiten stellt sich „Science Officer 0718“ dem Leser ausführlich vor. Er ist ein Humanoide, der von seiner Station aus die Funktionen der Enterprise genauestens überwachen kann. Ausgestattet mit einer Direktverbindung zum Computerkern der Enterprise. Aber wie kam dieses einzigartige Individuum überhaupt auf Captain Kirks Schiff? Diese Geschichte erzählt 0718 in diesem Comic und sie beginnt zwei Jahre zuvor, nach den Ereignissen des elften und vor den Ereignissen des zwölften Star Trek-Kinofilms.

Während ihrer Erkundungsmission entdeckte die Enterprise einen erstaunlichen Planetoiden. So groß wie ein Planet, ohne Atmosphäre; eine perfekte Kugel, deren glatte Oberfläche aus einem unbekannten Material besteht. Spock ist es nicht möglich herauszufinden, wie dieses gewaltige Gebilde entstanden ist. Für weitere Nachforschungen beamt ein Außenteam in Raumanzügen auf die Kugel. Dort angekommen erhält das Team sehr seltsame Messungen: eine Energiesignatur aus dem Inneren des Gebildes, eingehende und abgehende Strahlungen … und ein sonderbares Funksignal, das die Enterprise erst erreichte, nachdem das Außenteam die Oberfläche der Kugel betreten hatte. Dies ist zugleich der Beginn seltsamer Fehlfunktionen auf dem Schiff. Das Außenteam kann noch zurück gebeamt werden, ehe der Funkkontakt mit der Enterprise abbricht. Aber auch kurz danach gibt es Störungen in den Schiffssystemen. Spock vermutet, dass sich ein fremdes Programm in den Schiffscomputer eingenistet hat und Uhura äußert die Vermutung, dass es sich bei den Fehlfunktionen um eine Art Kommunikationsversuch handelt. Dies geschieht noch bevor Alarmstufe Rot ausgerufen wird, die Untertassenabtrennung eingeleitet und Commander Scott einen elektrischen Schlag bei dem Versuch erhält, die Abtrennung zu verhindern. Gleichzeitig beginnen die Geräte im medizinischen Labor verrückt zu spielen: Organische Rohstoffe werden in eine Regenerationseinheit gepumpt, der kurz darauf ein humanoides Wesen entsteigt, das sich selbst als Enterprise identifiziert …

Fazit: Um den von Joseph Gatt dargestellten Wissenschaftoffizier gab es schon im Vorfeld des Films Gerüchte. Ist er ein Androide oder ein Cyborg und wo kommt er her? Wurde er von einem Föderationsvolk gebaut oder stammt er von einer außerirdischen Spezies (siehe z.B. die TOS-Episoden „Der alte Traum“ oder „Der dressierte Herrscher“)? Dieser Comic erzählt gekonnt die „Entstehungsgeschichte“ von Wissenschaftsoffizier 0718. Er bleibt am Beginn mysteriös, obwohl er schon auf den ersten paar Seiten sehr detailliert erzählt, was seine Aufgabe an Bord ist und welche Fähigkeiten er besitzt. Und auch der Rückblick auf die Ereignisse rund um seine Entstehung ist über weite Strecken sehr unheimlich und spannend gemacht. Es ist nicht die schweißtreibende Spannung mit einem Cliffhanger von Panel zu Panel, sondern eine sich langsam aufbauende Spannung. Ganz ähnlich wie der erste Star Trek-Film und zu diesem Film gibt es durchaus ein paar Parallelen. Aber da „Künstliche Intelligenz“ das zentrale Thema dieser Geschichte ist, verwundert das auch nicht, dass „I, Enterprise“ einige Aspekte enthält, die man schon in anderen Star Trek-Episoden zu dem Thema sah. Der Mix ist aber recht originell, und der Charakter 0718 wird einem schnell sympathisch.

Neben der Geschichte an sich bietet der Comic auch einige interessante Informationen über die neue Enterprise an. So z.B. dass auch diese Enterprise fähig zur Untertassenabtrennung ist oder dass die Crew-Größe der neuen Enterprise knapp über 700 liegt.

Der Zeichenstil von Erfan Fajar gefällt mir wieder sehr gut. Frühere Arbeiten von ihm waren ja etwas schwankend, aber inzwischen hat er sich durchaus auf seinem besten Niveau. Auch zu falschem Referenzmaterial greift er kaum noch bzw. wohl nur, wenn er unbedingt muss. So sieht das medizinische Labor schon sehr stark nach der Krankenstation der Enterprise-D aus. 😉 Aber das war’s dann auch schon. Der Rest der Zeichnungen, gewählte Perspektiven und die Farben von Stellar Labs wissen zu gefallen. Besonders atmosphärisch wird es dann bei Rotem Alarm an Bord, wenn von überall ein rötliches Glühen auszugehen scheint.

Bewertung: Es mag zwar „nur“ um einen Nebencharakter gehen, aber die dahinter stehende Geschichte ist sehr lesenswert und bietet spannende Unterhaltung. Das einzige, das meiner Meinung nach die Höchstnote verhindert, ist der überhastete Schluss, wenn aus „Enterprise“ der „Science Officer 0718“ wird. Hier zaubert Spock in einem kurzen Gespräch die Lösung aus dem Hut und stellt Kirk vor vollendete Tatsachen. Dieser Schluss und die Einstufung von 0718, wirft dann noch Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Aber vermutlich dürfen wir uns über eine Fortsetzung von 0718s Geschichte freuen, denn am Schuss des zweiten Bandes steht nicht „The End“, sondern „The End for now!“. Wäre interessant, wenn man sich mit diesem Charakter nochmal im Stil der TNG-Folge „Wem gehört Data?“ auseinandersetzt. Während die TNG-Folge durch Datas freiwilligen Beitritt zur Sternenflotte und der Absolvierung der Akademie eigentlich einen grundsätzlichen Story-Fehler begeht, Data mitten in der Folge plötzlich als „Sternenflotten-Eigentum“ zu klassifizieren, wäre diese Klassifizieren bei 0718 wesentlich plausibler. Mal sehen, ob der sympathische Offizier – das „Gehirn der Enterprise“ – sich auch bald in einem Gerichtssaal wiederfinden wird.

So gibt es für die Entstehungsgeschichte von 0718 gute 5 von 6 Sterne.

5stars

 

Rezension: „Ausgeliefert” – Ein Jack-Reacher-Roman

Zur falschen Zeit am falschen Ort. Das ist Ex-Militärpolizist Jack Reacher kurz bevor er sein zweites großes Abenteuer als Zivilist erlebt. Dabei wollte er nur einer ihm zuvor unbekannten Frau beim Tragen ihrer Kleider behilflich sein, die auf einer Krücke gestützt eine Wäscherei verlässt. Ganz plötzlich findet sich Reacher von bewaffneten Männern umzingelt, die ihn und die Frau im wahrsten Sinne des Wortes einfach einkassieren und im Laderaum eines Lieferwagens eingesperrt von Chicago aus durch die halbe USA verfrachten. Sofort ist Reacher klar, dass er wirklich einfach Pech gehabt hatte, dieser Frau an diesem Tag zu begegnen. Denn nicht er sollte entführt werden, sondern die Frau – Holly Johnson – die nicht nur eine herausragende FBI-Ermittlerin ist, sondern auch andere Vorzüge für Geiselnehmer zu bieten hat. Welche das sind, will sie selbst Reacher – ihrem einzigen Verbündeten in dieser verzwickten Situation – nicht sofort preisgeben.

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Das Ziel ihrer Odyssee könnte sich von Chicago nicht größer unterscheiden. Nicht in einer pulsierenden Großstadt kommen sie an, sondern in einem grünen, bewaldeten Tal in Montana. Beinahe gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten will dort eine Hundertschaft von irren Milizionären einen eigenen Staat gründen und den USA eine Lektion erteilen. Holly Johnson wird in einen mit Dynamit vollgepackten Raum gesperrt, während Reacher vom verrückten Anführer der Milizionäre als Botschafter eingespannt wird, der seine Botschaft in die Welt tragen soll. Unnötig zu erwähnen, dass Reacher keine große Lust darauf hat und lieber seine Flucht plant – aber nur mit Holly.

Fazit: Der zweite Jack-Reacher-Roman von Lee Child ist schon mehr nach meinem Geschmack. Der erste Roman „Größenwahn“ (dessen deutscher Titel auf den zweiten Roman besser gepasst hätte) war eindeutig dem Krimi-Genre zuzuordnen. Viel Nachforschung, viele Reisen von einem Ort zum anderen um Befragungen vorzunehmen. „Ausgeliefert“ ist hingegen ein reiner Thriller nach dem Muster von „Stirb Langsam“. Mehr oder weniger auf sich allein gestellt muss Reacher mit schwer bewaffneten Terroristen auf einem relativ kleinen Areal zurechtkommen, dank seiner Ausbildung am Leben bleiben und die Pläne der irren Milizionäre verteilten. Das ist über weite Strecken des Romans sehr spannend. Trotzdem finde ich ihn angesichts der sehr geradlinigen Handlung mit über 500 Taschenbuchseiten aber eindeutig zu lang. Vielleicht etwas kompakter, so rund 100 Seiten kürzer, und der Roman hätte wohl die perfekte Länge gehabt und das Spannungsniveau durchgängig hochhalten können. Die ausufernden Gewalt und Action-Szenen beschreibt Lee Child ziemlich detailliert. Solche Sequenzen, die sich auf Handlung einer einzelnen Person – meistens Reacher – beschränken, empfand ich als recht langatmig, aber ich hatte durchaus den Eindruck, dass Child hier sehr bewusst dem entgegengesteuert hat und Reacher immer wieder Weggefährten, mit denen er einen Dialog führen konnte, an die Seite stellt. Im Dialog entfaltet sich auch ein Mindestmaß an Humor. Aber es hätte durchaus mehr sein dürfen. (Speziell im Vergleich zur bisher einzigen Verfilmung eines Jack-Reacher-Romans merkt man, dass es in den ersten beiden Romanen deutlich weniger erheiternde Dialoge gibt.)

Was „Ausgeliefert“ ebenfalls über „Größenwahn“ stellt, ist der verwendete Erzählstil. Lee Child berichtet nicht mehr aus Reachers Ich-Perspektive. So erfährt man auch, was andere Charaktere über ihn denken. Kurioserweise gibt dennoch Reacher selbst das meiste über sich preis. Denn ein spannender Aspekt der Geschichte ist, dass Reacher vom Großteil der Protagonisten völlig falsch eingeschätzt wird. Dank eines völlig fehlinterpretierten Überwachungsvideos aus der Wäscherei halten FBI und Militär Reacher sogar für den Anführer des Trios, das Holly entführte. Reachers an sich ja positive Eigenschaft, mit jeder sich auftuenden Situation rational umzugehen und die Ruhe zu bewahren, wird ihm hier sogar zum beinahe tödlichen Verhängnis!

Neben der Länge des Romans (ich habe fast einen Monat gebraucht, bis ich durch war) und dem sehr reduzierten Humorgehalts, gibt es noch einen dritten negativen Punkt in der Erzählung dieser an sich ja ganz spannenden Geschichte: US-Pathos! Es sind nur zwei kurze Stellen, die mir als Nicht-Amerikaner aber die Galle hochkommen lassen.

Nämlich vor allem einmal, wenn Jack Reacher eine Aussage tätigt, die absolut nicht zum Charakterbild zu passen scheint und wirkt, als sei sie nur zur Besänftigung der amerikanischen Leserschaft gedacht. Fassen wir mal zusammen: Er ist ein ehemaliger Militärpolizist, der auf der ganzen Welt, einschließlich zivilisierter Gegenden wie England und Deutschland, gedient hat. Sein ganzes Leben lang hat er kaum Zeit in den USA verbracht und wenn dann auch hauptsächlich auf Militärbasen. Jetzt ist er im Ruhestand und reist durch die USA, um das Land überhaupt einmal kennenzulernen, dem er als Soldat gedient hat. Und dieser Mann, der die ganze Welt kennt aber die USA kaum und der innerhalb weniger Monate als ZIVILIST innerhalb der Staatsgrenzen der USA schon ganze ZWEIMAL in lebensbedrohende Situationen schlittert, erdreistet sich zur Aussage: „In Amerika ist es besser als überall sonst. Ich weiß das, weil ich überall gewesen bin.“

In diesem Moment wandelt sich das Bild des Jack Reacher plötzlich vom erfahrenen, gelassenen und weltoffenen Mann hin zu einem indoktrinierten Soldaten, der vielleicht außerhalb der USA auch mal seine Militärbasis hätte verlassen sollen, damit er weiß, wovon er redet. Gerade in Kombination mit der zweiten Szene – wenn dem FBI-Chef von einem Mitarbeiter des Präsidenten im Weißen Haus Umfrageergebnisse zum Thema „Miliz“ mitgeteilt werden – kann ich nur den Kopf schütteln. Ich will gar nicht darüber philosophieren, ob es in der Realität so ist. Aber das fiktive Weltbild, das Lee Child hier zeichnet, wirkt verheerend. Ein Land, in dem zwischen 12 und 66 Millionen Menschen vor die Wahl gestellt nicht für die Regierung sondern für bewaffnete Volksheere die Partei ergreifen würden, wo angeblich ganze Countys von Milizen kontrolliert würden und ein Verrückter es in Montana schafft, gleich die Führerschaft über mehrere Milizen an sich zu reißen die der US-Armee auf amerikanischem Boden nicht wenig Kriegsmaterial abnehmen kann, wird von Jack Reacher – der nach eigenen Worten überall war – als bester Ort auf der Welt angesehen. Wie übel muss diese Welt sein, von der Lee Child hier schreibt? Die reale kann es nicht sein und ich denke, dass ich nicht alleine mit der Ansicht dastehe, wenn ich sage, dass ich lieber hier in meinem schönen mitteleuropäischen Land bleibe, als in dieses fiktive (?) und ach so tolle Amerika umzuziehen. (Lee Child – gebürtiger Brite – ist übrigens in die USA ausgewandert.)

Bewertung: Vielleicht ist es kleinlich von mir. Aber die zuletzt beschriebenen Passagen im Buch demontieren den Charakter Jack Reacher für mich nachhaltig. Im Film „Jack Reacher“ (basierend auf dem 9. Reacher-Roman) brillierte der Charakter noch als hochintelligenter Ermittler mit ausgeprägten kämpferischen Fähigkeiten, aber einem Sinn für Fairness und trockenem Humor. In „Ausgeliefert“ findet man davon nichts. Entweder hat Lee Child später noch ordentlich an dem Charakter und an den Situationen, in die er ihn bringt, gefeilt. Oder Drehbuchautor Christopher McQuarrie hat einen wesentlich besseren Charakter geschrieben als dessen Erfinder.

Die Thematik von „Ausgeliefert“ ist ja grundlegend sehr interessant. Die Bösen sind herrlich psychopathisch. Der Schreibstil hält die Spannung über weite Strecken auf hohem Level, was für einen hohen Unterhaltungswert spricht. Normalerweise würde ich dem Roman ja 5 Sterne geben. Aber die erwähnten Passagen können wohl nur Amerikanern oder eingefleischte Fans des „American Way of Life“ gefallen. Weil hier Child offenbar zu sehr auf seine amerikanische Leserschaft abzielt und weil die ärgerlichste Passage auch noch völlig unnötig ist bzw. leicht relativierbar gewesen wäre, gibt es einen Stern Abzug. 4 Sterne gibt es für „Ausgeliefert“, das damit aber immer noch von mir deutlich besser bewertet wird als der erste Roman „Größenwahn“.

4stars