Pilotfilm-Review: „Star Trek : Picard – Gedenken“

Seit dem 24. Januar 2020 steht auch hierzulande die erste Folge der neuen Star Trek-Serie „Picard“ per Stream auf Amazon Prime Video zur Verfügung. Dabei handelt es sich aber weniger um einen wirklich Pilotfilm, da nur eine Episode veröffentlicht wurde, die lediglich typische 44 Minuten lang ist. Etwas schade, dass keine Doppelfolge den Auftakt bildet, aber angesichts der Art der Geschichte macht es durchaus Sinn.

Handlung: Nach fast 20 Jahren kehrte Sir Patrick Stewart also wieder zurück zu Star Trek und in seine Rolle als Jean-Luc Picard. Allerdings erleben wir ihn am Beginn der ersten Folge von „Picard“ nicht mehr als Raumschiff-Kapitän, sondern im Ruhestand, als Weinbauer und Autor historischer Sachbücher in seiner Heimatgemeinde La Barre in Frankreich. Er träumt noch von der Zeit auf der Enterprise, von angenehmen Pokerpartien mit seinem verstorbenen Freund, den Androiden Data. Er wird aus diesem Traum jedoch gerissen durch die Erinnerung an eine schrecklichen Katastrophe auf dem Planeten Mars.

Was hinter dieser Erinnerung steckt, erfahren wir dann im Rahmen eines Interviews, das Picard anlässlich eines Jahrestags der Vernichtung des Planeten Romulus gibt. Die Heimat der Romulaner stand damals vor der Vernichtung durch eine Supernova (siehe den 11. Star Trek-Kinofilm). Auf Admiral Picards Einsatz hin erklärte sich die Föderation bereit, den Romulanern Hilfe zu leisten und eine große Flotte von Evakuierungsschiffen in den Werften des Mars zu bauen, die 900 Millionen Romulaner in Sicherheit bringen sollten. Doch dieses kolossale Bemühen fand ein plötzliches Ende, als es zu einem bis heute rätselhaften Aufstand synthetischer Lebensformen kam. Sie zerstörten die Rettungsflotte und ebenso die Werften und fügten dem Planeten Zerstörungen zu, die auch 10 Jahre später noch sichtbar sind. Bevor Picard das von der Moderatorin provokant geführte Interview abbricht, enthüllt er noch seine Wut darüber, dass die Föderation ihre Rettungsbemühungen aufgab und die Romulaner ihrem Schicksal überließ, weshalb Picard selbst aus der Sternenflotte austrat.

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Das Interview ist ein guter Weg, um den Zuseher in die Gegenwart von „Picard“ einzuführen.

Aber es ist Picard nicht gewährt, nach diesem Interview wieder zurück in seine eigene, kleine Welt zurückzukehren, denn plötzlich taucht eine junge Frau namens Dahj bei ihm auf, die ihm eine erstaunliche Geschichte erzählt: Während sie gerade bei sich daheim in Boston mit ihrem Freund ihre Aufnahme ans renommierte Daystrom-Institut feierte, beamten sich plötzlich drei vermummte Humanoide in ihre Wohnung, töteten ihren Freund und versuchten, sie zu entführen. Doch plötzlich „aktivierte“ sie sich, wie es einer der Angreifer ausdrückte … ehe Dahj ihn und seine Kumpanen mit ihr bislang unbekannten Kräften und Fertigkeiten umbrachte. Und nicht nur diese Fähigkeiten entwickelte sie spontan, sondern auch das instinktive Wissen, dass sie sich an Jean-Luc Picard wenden musste, um Hilfe zu erhalten.

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Dahj sucht Hilfe bei Picard. Sie wird von ihrem Instinkt zu ihm geleitet und er hat das seltsame Gefühl, die junge Frau zu kennen.

Sie waren sich noch nie begegnet, doch auch Picard meint, dass Dahj ihm bekannt vorkommt. Er ist sich aber erst sicher, als er nach San Francisco in das Sternenflottenarchiv zurückkehrt, wo ein Teil seiner persönlichen Gegenstände von seiner Zeit auf der Enterprise eingelagert ist. Er holt ein Gemälde aus dem Archiv, das einst sein kybernetischer Freund Commander Data schon vor drei Jahrzehnten gemalt hatte. Es zeigt eindeutig Dahj, wie sie heute aussieht. Und der Name des Gemäldes lautet „Tochter“ …

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Schon 30 Jahre bevor Picard auf sie traf, erhielt der damalige Captain der Enterprise ein Gemälde mit dem Titel „Tochter“, das Commander Data gemalt hat.

Fazit: Nach den ersten Interviews der Produzenten und auch noch nach dem ersten Teaser-Trailer hatte ich die Befürchtung, „Picard“ würde zu einem sehr melancholischen Drama ausarten. Diese Befürchtung haben mir die weiteren Trailer genommen und zum Glück bestätigt sich schon in Folge 1, dass es gleich sehr handlungsorientiert zur Sache geht. Ein Interview am Beginn einer Geschichte ist zwar nicht der originellste Weg, um die Ausgangssituation für den Zuseher darzulegen, es funktioniert aber sehr gut. Innerhalb weniger Minuten wissen wir im Groben, wie Jean-Luc Picards Sternenflottenkarriere seit dem Ereignissen im Film „Nemesis“ weiterging und durch welchen Zwischenfall sie endete. Man erfährt vom ersten Mysterium, das sich damals ereignete wie auch von Picards Verbitterung über die Entscheidung der Sternenflotte.

Dahj ist dann das zweite große Mysterium und womöglich indirekt mit dem Angriff synthetischer Lebensformen auf den Mars verbunden. Denn seither gilt das strikte Verbot, weitere Androiden herzustellen. Und doch scheint es sich bei Dahj um eine künstliche und empfindungsfähige Lebensform zu handeln. Zwar nicht hergestellt von Commander Data, aber auf Basis seines Gemäldes von einem Kybernetiker, den Fans der Serie „The Next Generation“ ebenfalls kennen: Bruce Maddox. Um es nochmal in Erinnerung zu rufen: Bruce Maddox versuchte in der Folge „Wem gehört Data?“ in einem Gerichtsverfahren das Recht zu erhalten, Data demontieren zu dürfen und Erkenntnisse zu erhalten, die zum Bau weiterer hochentwickelter Androiden führen sollten.

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Die Kybernetiker Bruce Maddox in TNG „Wem gehört Data?“ und Dr. Agnes Jurati in „Gedenken“

Maddox erhielt damals dieses Recht nicht und das Verbot zur Entwicklung künstlicher Lebensformen zerschmetterte alle seine Hoffnung, wie Picard in dieser Auftaktfolge von dessen Mitarbeiterin Agnes Jurati erfährt. Deshalb ging Maddox in den Untergrund – und entwickelte dort vermutlich Dahj … und deren „Zwillingsschwester“, denn die biologischen Androiden würden laut Theorie immer Paarweise erzeugt. Womit der Weg von Picard für die kommenden Folgen ein wenig vorgezeichnet wird. Wo sich Dahj‘ Schwester befindet, erfährt man erst ganz zum Schluss der Episode

Das Marketing von „Picard“ hat es sehr gut verstanden, das Thema „Zwillinge“ auszusparen. Man dachte, man sähe immer Dahj, aber in Wahrheit sah man genauso oft deren Schwester Soji in den Trailern – beide dargestellt von der selben Schauspielerin, Isa Briones. Was hingegen durch die Trailer im positiven Sinne bereits absehbar war und sich in der Auftaktfolge bestätigt: „Picard“ fühlt sich wirklich wie eine schlüssige Fortsetzung der Next Generation-Ära an. Im Gegensatz zu „Discovery“, wo sich die Macher kaum Mühe gemacht haben, visuell an die Ära der Originalserie anzuknüpfen, passt das, was in „Picard“ bisher zu sehen war, wirklich sehr gut in die Zeit rund 20 Jahre nach „Nemesis“. Es gibt natürlich ein paar technologische Fortschritte, die inzwischen in Science-Fiction üblichen transparenten Bildschirme, in der Luft schwebende Holografien, aber all das ist nicht zu übertrieben eingesetzt und stilistisch knüpfen Grafiken, Soundeffekte und Kostüme an das Design von „The Next Generation“ an. Ein nostalgischer Höhepunkt ist jedenfalls Picards Besuch im Archiv, wo originalgetreue Modelle der Raumschiffe Stargazer, Enterprise-D, Enterprise-E und ihrer Kapitänsyacht ausgestellt sind sowie andere Gegenstände, die schon in „The Next Generation“ mit Picard in Verbindung gebracht wurden. 

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Der Archivraum ist voll mit Anspielungen auf „The Next Generation“.

Die Handlung der Episode baut dabei gut auf Vertrautem auf, aber führt auch ein neues  Mysterium ein. Tatsächlich ähnelt die Geschichte einem Krimi. Anders als bei den meisten vorherigen Star Trek-Serien, fliegt hier kein Captain mit seinem Schiff zum Ort des Geschehens. Hier kommt das „Problem“ in Form von Dahj zu Picard und bittet ihn – ähnlich einem pensionierten Ermittler – um Hilfe, was ihn aus seinem Ruhestand lockt. Das bestätigt auch, was die Produzenten vorab gesagt haben: dass jede der 10 Episoden der Staffel wie das Kapitel eines Romans zu erachten ist. Ein Eindruck, den auch der effektvolle Schluss bestätigt, der mit der Einführung einer neuen Figur und eines neuen Schauplatzes einen Cliffhanger hat, der Lust auf die nächste Folge macht. Insofern ist es also nachvollziehbar, dass man „Picard“ lediglich mit einer 44-Minuten-Folge beginnt. Die Geschichte ist sehr gut erzählt, füllt diese Laufzeit gut aus, hat eine effiziente Exposition, bereits eine interessante Wendung und baut sehr gut Spannung auf.

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Die „Romulanische Rückgewinnungseinrichtung“ kommt einem irgendwie vertraut vor.

Natürlich steht Jean-Luc Picard im Mittelpunkt der Serie, aber mit Dahj/Soji und der Kybernetikerin Dr. Agnes Jurati sind schon mal zwei weitere Mitglieder seiner „Crew“ dabei, die sich in der kommenden Folge vermutlich nach und nach formieren wird. Isa Briones gefiel mir gut in der zwiespältigen Rolle einer hochentwickelten Androidin, die die Fähigkeiten hat, aber gar nicht weiß, dass sie eine künstliche Lebensform ist. (Nicht unähnlich einem Jason Bourne aus der Thriller-Reihe von Robert Ludlum.) Dr. Jurati – dargestellt von Alison Pill – kommt gleich mal sehr sympathisch rüber, vermittelt gleichzeitig ihren humorvollen Charakter wie auch eine akademische Ernsthaftigkeit. Es würde mich freuen, wenn sie diesen ausgeglichenen Mix beibehalten kann.

Die Erzählung in der ersten Folge ist jedenfalls gut gelungen, aber auch die Regie ist sehr gut angepasst. Sehr ruhig und zurückhaltend zur Stimmung auf Picards Weingut passend, aber auch hier und da mit auffälligeren Einstellungen, wenn es etwas action-reicher zugeht. Gleiches gilt auch für die Musik. Meist zurückhaltend – wie von Jeff Russo bereits aus „Discovery“ gewohnt – aber z.B. ganz am Schluss beim Cliffhanger-Ende auch mal ordentlich bombastisch. Auch die Titelmelodie von „Picard“ entspricht der Qualität von jener bei „Discovery“ – leider. Visueller Stil und die gewählten Bilder des Intros von „Picard“ gefallen mir ja wirklich sehr, die Motive scheinen mir sogar besser gewählt als bei „Discovery“. Aber die musikalische Begleitung ist nicht nur unspektakulär, sie kommt mir sogar regelrecht holprig vor. Irgendwie unfertig, was womöglich an der Vorlage liegt. Ich habe es selbst nicht bemerkt, aber einem Fan fiel auf, dass die Intromusik von „Picard“ von einem Flötenstück inspiriert ist, das Picards „Sohn“ in der „The Next Generation“-Folge „Das zweite Leben“ spielt.

Bewertung: „Gedenken“ ist wirklich ein sehr guter Auftakt zur neuen Serie, dem es wirklich gelingt, in relativ kurzer Laufzeit die Ausgangssituation und Picards Werdegang darzulegen, gleich mehrere Mysterien einzuführen, eine action-reiche Wendung zu bringen, mit einem interessanten Cliffhanger aufzuwarten und das ganze noch mit Next Generation-Nostalgie zu garnieren, die teilweise aber sogar sehr relevant für die Handlung ist. Für einen Krimi ein ideales erstes Kapitel, dem ich starke 5 von 6 Filmrollen gebe. Natürlich steht die Geschichte nicht für sich allein, insofern muss man abwarten, was aus den hier eingeführten Mysterien noch wird. Aber als erstes Kapitel eines Romans erfüllt „Gedenken“ nicht nur seinen Zweck, es unterhält auch gleich sehr gut und funktioniert für Kenner von „The Next Generation“ absolut als Weitererzählung der Lebensgeschichte von Jean-Luc Picard.

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Anmerkungen:

In der deutschen Fassung wird Jean-Luc Picard übrigens wieder von Ernst Meincke gesprochen, der diesem Charakter bereits ab Mitte der 4. Staffel von „The Next Generation“ die Stimme lieh. Mit Michael Pan bekam auch Commander Data seine vertraute deutsche Stimme.

Ergänzende Literatur hatte bei „Star Trek“ noch nie einen „Kanon-Status“, daher ist es keine Überraschung, dass die Geschichte, die in „Picard“ erzählt wird, unvereinbar mit den Relaunch-Romanen von „The Next Generation“ ist. Gleiches gilt für die Geschichte des „Countdown“-Comics zum 11. Kinofilm. Tatsächlich gibt es zu „Picard“ einen eigenen dreibändigen „Countdown“-Comic.

Da schon die offiziellen Romane unbeachtet bleiben, ist es auch nicht verwunderlich, dass sich mein 2012 entstandener FanFiction-Roman „Where the End begins“ zumindest im Detail bereits nach der ersten Folge mit „Picard“ etwas beißt. Ich nehme an, die Abweichungen werden noch zunehmen. Insofern ist „Where the End begins“ ab sofort ein Alternativwelt-Roman über die Geschehnisse vor, während und nach „Nemesis“.

Die Poster am Beginn des Reviews stammen von Trekcore.com.

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