Rezension: Comic – „Khan“

Es ist nun mehr als ein Jahr her, dass „Star Trek Into Darkness“ in den Kinos angelaufen ist und wahrscheinlich hat sich inzwischen herumgesprochen, welcher bekannte Bösewicht aus dem Star Trek-Universum sich in Wahrheit hinter dem Pseudonym „John Harrison“ verbirgt. Ja, es ist Khan, bekannt aus der TOS-Episode „Der schlafende Tiger“ und dem Kinofilm „Der Zorn des Khan“. Die TOS-Episode zeigte, wie Khans Erwachen nach über 200 Jahren kryogenischen Schlafes im Prime-Universum abgelaufen ist. Wie die Umstände seines Erwachens im neuen Universum waren und wie aus ihm John Harrison wurde, erzählt dieser Comic – und noch viel mehr!

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Wie schon nach dem ersten neuen Star Trek-Kinofilm wird die Vorgeschichte des Bösewichts auch diesmal wieder in gezeichneter Form nacherzählt. Damals bei Nero war allgemein zu diesem Charakter noch nicht allzu viel Backstory etabliert. Bei Khan hingegen waren durch dessen ersten beiden Auftritte sowie gelegentliche Erwähnungen der sogenannten „Eugenischen Kriege“ schon einige Informationen vorhanden. Wobei Khans Geschichte – die er im Comic im Rahmen einer nach „Star Trek Into Darkness“ angesiedelten Gerichtsverhandlung erzählt – nicht erst mit den Kriegen beginnt. Die Geschichte, die er erzählt, beginnt noch früher, Anfang der 1970er. Eine international agierende Organisation, in ihrer Führungsriege bestehend aus Genetikern, lässt auf der ganzen Welt – unter anderem aus den Slums von Bombay und Neu-Delhi – Kinder entführen, um sie einem ganz besonderen Programm zu unterstellen. Ihr Ziel: Perfekte Soldaten zu erschaffen. Unter den Auserwählten, die sich besonders durch hohe Intelligenz, Stärke und ungebändigter Wildheit auszeichnen, ist ein Junge namens Noonien Singh. Durch DNS-Manipulation die seine Physis verbessert und einem umfangreichen Training, in dessen Rahmen er sich allerhand nützliche Fähigkeiten aneignet, wird Noonien zum Musterschüler, der mit der Zeit aber nicht nur seine eigenen Fähigkeiten testet, sondern auch die seiner Ausbilder und Erschaffer. Und so geschieht es am Vorabend der ersten Auslieferung der neuen Super-Soldaten, dass Noonien und seine Kameraden den Aufstand proben und erfolgreich ihrer Ausbildungsstätte entfliehen. Die Auswirkungen dieses Ereignisses sollten Jahre später zu den Eugenischen Kriegen führen.

Fazit: Die Eugenischen Kriege wurden bereits vor diesem Comic mehrfach dargestellt. Am bekanntesten ist wahrscheinlich Greg Cox‘ tolle Roman-Duologie „The Eugenics Wars“, in der er die Kriege sowie ihre Vorgeschichte in real stattgefundene historische Ereignisse der 70er, 80er und 90er einbettet. Da Greg Cox‘ Romane in den Jahren 2001 und 2002 erschienen sind, sind sie inzwischen ein wenig durch Aussagen in der 3. und 4. Staffel von „Enterprise“ vielleicht nicht mehr so ganz passend. Es bleibt viel Interpretationsspielraum, aber es wird eher der Anschein vermittelt, es habe sich um einen öffentlich wahrgenommenen Krieg gehandelt und nicht wie von Cox‘ dargestellt um eine Ansammlung von Konflikten, die nachträglich unter dem Namen „Eugenische Kriege“ zusammengefasst wurden.

Wie bereits das ebenfalls sehr empfehlenswerte Sachbuch „Federation – The First 150 Years“ stellt auch der Comic „Khan“ nun die Kriege als weltumspannende Konflikte dar. Also klar abgegrenzt zu den realen Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Ausgehend von der Machtergreifung der genetisch verbesserten „Augments“ in den verschiedenen Teilen der Welt – in deren Rahmen Noonien Singh zu Khan wird – erzählt der Comic aus der Sicht von Khan den Konflikt und wie sich Khan konform der Aussagen in der TOS-Folge „Der schlafende Tiger“ dabei verhalten hat; wie die Augments niedergeschlagen wurden (ganz entgegen des typischen Hollywood-Klischees 😉 ) und er an Bord der Botany Bay mit seinen Gefolgsleuten von der Erde fliehen musste.

Einige Informationen aus „Federation – The First 150 Years“ wurden auch von Comic-Autor Mike Johnson direkt übernommen, wie z.B. die Namen der regional herrschenden Augments oder dass Atomwaffen großflächig zum Einsatz kamen. (Hier muss ich ein wenig kritisieren, dass die Zerstörung in Nordamerika etwas zu groß erscheint, wenn man bedenkt, dass wir durch Zeitreisen in „Voyager“ und „Enterprise“ Los Angeles von 1996 und Detroit von 2004 kennen. Allerdings relativiert der Text im Comic am Beispiel San Franciscos auch, dass es von der Zerstörung unberührte Flecken in Nordamerika gab.)

Während sich die ersten drei Teile des Comics also mit jenem Teil von Khans Geschichte befassen, die sowohl im Star Trek-Prime-Universum als auch im neuen Universum gleich stattgefunden haben, erzählen dann die Kapitel 4 und 5, wie Khan im 23. Jahrhundert von Admiral Alexander Marcus und der Geheimorganisation Sektion 31 nach der Zerstörung Vulkans gefunden und wiedererweckt wurde. Hierbei ist es sehr lobenswert, dass man die Geschichte, die man in ihren Grundzügen aus „Star Trek Into Darkness“ kennt, noch weiter ausgebaut hat und ihr einen interessanten Twist gibt. Also selbst wer den Film und die darin erzählte Geschichte von Khan und der Crew der Botany Bay kennt, wird sich noch überraschen lassen können. Insofern ist der Comic eine sehr gelungene Ergänzung zum Kinofilm. Im Gegensatz zu einigen Kritikern aber ganz sicher nicht essentiell notwendig um den Film zu verstehen oder angebliche „Plot Holes“ zu stopfen. (Für alle, die sich die Veränderung von Khans Aussehen bzw. Ethnizität nicht erklären können: Der Gedanke, dass im 23. Jahrhundert mit der Erschaffung einer falschen Identität auch eine Veränderung des Äußeren einhergeht, sollte doch leicht nachvollziehbar sein.)

 

Die Zeichnungen: Die Eugenischen Kriege sind ein faszinierendes Kapitel der fiktiven Star Trek-Historie. Vermutlich auch deshalb, weil sie eigentlich zu unseren Lebzeiten stattgefunden haben sollten und insofern erzählt der Comic eine faszinierende „Was-wäre-wenn“-Geschichte. Es ist ungewöhnlich, dass man in einer Star Trek-Geschichte mal zurückblickt auf die inzwischen nun nahe Vergangenheit und so gefallen auch Claudia Balbonis Zeichnungen einer gegenwärtigen Erde und ihrer Regionen. Von Neu-Delhi bis Paris, vom Himalaya bis Sydney, von Hong Kong bis London. Diese Vielfalt an Schauplätzen sieht man sonst nie in Star Trek-Comics. Während Balboni für die Zeichnungen der ersten drei Kapitel verantwortlich war, oblag es David Messina die letzten beiden Kapitel (ausgenommen Rückblenden) zu zeichnen. Hier muss ich sagen, gibt es keine nennenswerte Qualitätsveränderung, so wie Balboni die annähernd gegenwärtige Erde im Griff hat, hat auch Messina die Designs des 23. Jahrhunderts im Griff. Raumschiffe, Raumstationen, Schauplätze des Kinofilms: alles gut gelungen einschließlich des Charakter-Designs. John Harrison und Admiral Marcus haben stets eindeutigen Wiederkennungswert.Erwähnt werden sollte auch die Gewaltdarstellung im Comic. Sie ist nicht ganz explizit, aber Silhouetten und verspritzendes Blut lassen keinen Zweifel daran, was wem angetan wird. „Khan“ zählt wahrscheinlich zu den blutrünstigsten Star Trek-Storys, aber das ist angesichts des Themas wohl nicht allzu verwunderlich.

Bewertung: Der Comic verdient sich meiner Meinung nach klar die Höchstnote. Sicher, es ist wie erwähnt nicht das erste Mal, dass Non-canon-Material die Eugenischen Kriege und Khans Vorgeschichte aufgreift und wiedergibt. Aber wie Cox‘ Romane und das 150-Jahre-Sachbuch erzählt auch der Comic eine faszinierende Variante einer fiktiven und gar nicht lange zurückliegenden Vergangenheit. Zudem werden alle über die Serien und Filme verstreuten Informationen zu dieser Zeit in die Story eingearbeitet und passen zu Khans Darstellung, wenn er für seine Taten in „Star Trek Into Darkness“ vor Gericht steht. Hoher Unterhaltungsfaktor und gleichzeitig grundlegende und ungezwungene Einbindung der Canon-Informationen, interessant dargebotene Interpretation fiktiver historischer Ereignisse, ungewöhnliche aber souverän umgesetzte Zeichnungen für einen Star Trek-Comic … all das zusammen ergibt ein tolles Gesamtpaket, dem ich 6 Sterne gebe!

6stars

Anmerkung: Der Comic erschien in den USA zuerst in fünf einzelnen, monatlich erscheinenden Heften. Der gesamte Comic erschien am 12. Mai 2014 in deutscher Sprache beim Verlag Cross Cult.

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